Articolo new

  A'mare . Die Stühle und der Esstisch in der Terrasse, die auf der Küche enthält.

Oktober 2023

ARCHITECTURE
Words
Laura Arrighi

Zu Hause bei Chiara

Ein Ort der Erinnerungen mitten im Pinienwald von Forte dei Marmi

Das Haus ist ein Spiegelbild dessen, was wir sind und was wir werden. Wenn Architekten eine Wohnung planen, versuchen sie oft, in diese Räume eine Reihe von Werten und Tugenden hinein zu projektieren, die sie irgendwie selbst repräsentieren und die sie den nächsten Generationen weitergeben wollen. Aber dann eignen sich die Besitzer ganz langsam diese Räume an und verwandeln sie in ihr Heim. Um von diesem Heim zu erzählen, ist es unabdingbar, an die Tür der Bewohner zu klopfen und dort als Gast aufgenommen zu werden. Vor allem wenn es sich um ein Haus wie das von Chiara handelt, das ein Schatzkästchen voller Erinnerungen ist. 

Als ich Chiara traf, schienen mir auf einmal alle Fragen, die ich mir vorbereitet hatte - zur Disposition des Grundrisses der Villa, zum Aufriss, zur Beziehung zwischen Architektur und Einrichtung- banal und oberflächlich. Um den wahren Wert dieser kleinen Villa in Forte dei Marmi zu verstehen, muss man in die Geschichte, die Gedanken und Emotionen der Person eintauchen, die sie gewollt, sie sich vorgestellt und geschaffen hat. Chiara wohnt hier seit 2017. Sie hat lange Zeit nach diesem Haus gesucht. Chiara wollte etwas, das sie berührte. Und etwas, das von Grund auf zu restaurieren war. “Als ich es sah, habe ich sofort gedacht: Das ist es. Es musste restauriert werden, aber ich sah sein gesamtes Potential. Verschiedene Aspekte haben mich getroffen: die Tatsache, dass es völlig im Pinienwald, mitten im Grünen und dennoch nur einen Steinwurf vom Meer weg lag. Letztendlich denke ich, dass der schwierigste und langwierigste Teil im Prozess „sich ein Haus zu schaffen“, die Suche ist, das Richtige finden, etwas, das eine gewisse Energie vermittelt, am richtigen Ort zur richtigen Zeit”.

Die Etymologie des Begriffs ‘abitare’ (wohnen) enthüllt die enge Beziehung zwischen dem Individuum und dem häuslichen Umfeld. Abitare (Wohnen), abitudine (Gewohnheit) und Abito (Gewand), haben alle die gleiche Wurzel des Lateinischen habere, die Besitz anzeigen, die aber auch in attitudine (Attitüde), inclinazione (Neigung), disposizione (Anordnung), apparenza (Schein) dekliniert werden können. All diese Konzepte tragen dazu bei, die Identität einer Person und das Umfeld, in dem sie agiert, zu definieren. Wohnen bedeutet also, einen Ort gewohnt zu sein, ihn mit dem übereinstimmen zu lassen, was wir normalerweise haben, mit allem was wir in uns tragen. „Seit ich klein war- erzählt Chiara - hatte ich schon immer eine Leidenschaft für Häuser, die Idee des heimischen Herds hat mich schon immer angezogen. Ich verlor meine Mutter, als ich noch sehr jung war und dann noch meinen Vater. Ich denke, dass mich dies im Unterbewusstsein konditioniert hat, und mich dazu gebracht hat, ständig nach einem Ort zu suchen, in dem dieses „Nest“, das für ein Kind das zu Hause der Kindheit ist, in dem es die familiäre Zuwendung erlebte, wieder auferstehen konnte. Der Versuch eine Lücke zu füllen, bringt mich dazu, immer wieder eine neue „Hütte“ schaffen zu wollen, um dieses Gefühl der Geborgenheit und Liebe wieder aufleben zu lassen”. 

In seiner Reflexion, was tatsächlich zu Hause bedeutet, spricht der Philosoph Emanuele Coccia “vor allem” von “einem großen Behälter, einer enormen Truhe, in der wir vor allem Objekte und Gegenstände ansammeln. […] Das Haus beginnt mit den Objekten: die Wände, die Decken, die Fußböden. Und dennoch ist keines dieser Dinge in der Lage, seine Funktion gesondert auszuüben.[…] Ein Schlafzimmer wird erst durch das Bett ein und der Tisch verleiht dem Esszimmer sein Dasein. Es sind die Teller, der Ofen und die Töpfe, die ein abstraktes Rechteck in eine Küche verwandeln. Die „Schachtel-Haus“ ist in rein technischer Hinsicht eine Art Wüste, ein rein mineralischer Raum, eine Sandburg, bis sie mit Gegenständen gefüllt wird. Wir haben niemals eine Beziehung zu seinen Wänden. Vielmehr haben wir eine Beziehung mit den Objekten. In Wirklichkeit wohnen wir nur die Objekte. Die Gegenstände beherbergen unseren Körper, unsere Gesten. Und sie ziehen unsere Blicke auf sich.” Und diese Objekte sind nichts anderes als kleine Stücke von uns, Erinnerungsstücke, Geschenke, Dinge, die uns zu einem gewissen Zeitpunkt unseres Lebens nützlich waren und die wir aufheben wollten. Ein Haus zu bewohnen, ist daher immer auch ein bisschen, wie dieses Haus zu sein, es nicht nur zu besitzen, sondern es mit unseren Erwartungen, unseren Bedürfnissen und unseren Sehnsüchten zu füllen. Das Haus von Chiara ist all das. “Meine Mama war Malerin– erzählt sie- und ich habe vieler ihrer Bilder aufgehoben, Erinnerungen, die Teil der Häuser geworden sind in denen ich wohnte und in denen ich wohne.

Diese Idee der Konstruktion einer Häuslichkeit durch die Objekte, hat mich dazu gebracht alle Gegenstände, die dieses Haus bevölkern, mit Interesse zu beobachten.

Ich habe mich in die Einrichtung verliebt, in die Möbel aus dem Antiquariat, die ich überall aufstöbere und die eindringliche Geschichten verwahren. Geschichten, die ich nicht kenne, aber die ich mir liebend gerne ausmale. Genauer gesagt bekomme ich alles, was ich auf affektiver Ebene in meiner Kindheit nicht hatte, von dem, was mich umgibt”. Diese Haltung der Eigentümerin wird von einer Art Animismus charakterisiert, die jedem Gegenstand Leben verleiht. Hinter jedem Gegenstand steckt eine Geschichte. Die Oberflächen, die Einrichtung, die Dekorationen erzählen von Freundschaften, Zuneigung, Reisen, Erfahrungen. Mit seinem Erwerb geht Chiara nicht nur eine tiefe Beziehung zu dem Gegenstand, sondern auch mit demjenigen ein, der ihr diesen “Teil des Hauses“ angeboten hat. Es ist, als ob diese Person Teil der Familie werden würde. So geschah es auch mit dem Architekten, der die Restaurierung übernommen hatte.

“Die Begegnung mit Michelangelo war reiner Zufall– erzählt Chiara - wegen der Bürokratie hätte ich einen Techniker gebraucht und ich kannte keinen. Eines Tages sah ich bei einem Spaziergang durch Forte dei Marmi ein Lokal mit dem Namen The Loft. Es machte mich neugierig: es war nicht gekünstelt, sondern es hatte Leben. Ich habe dann entdeckt, dass es sich um ein Architekturbüro handelte. Ich habe den Gründer kennengelernt und es herrschte sofort eine Verbindung zwischen uns: er hat meinen Geschmack verstanden, was ich wollte. Ich war von dieser Sache angezogen und habe ihm daher das Projekt anvertraut, auch wenn ich nicht wollte, dass mein Haus ein Spiegelbild des Moods der Projekte, die er mir in seinem Portfolio zeigte, sein sollte. Aber die Neigung von Michelangelo zuhören zu können und die Empathie, die ich empfand als wir uns trafen, hatten mich überzeugt”. In seinem Buch La casa è un sogno, (Das Haus ist ein Traum) erklärt Massimiliano Giberti, dass“ es nur ein Haus gibt, es aber jedes Mal anders ist. Es geht nicht um das Haus als einzelnes Manufakt, sondern darum, was das Wort Haus an sich repräsentiert. Man kehrt nach Hause zurück, man läuft von zu Hause weg, man sucht ein Haus, und dabei benutzt man immer den Singular, weil es nur ein Zuhause geben kann, auch wenn wir zwei, drei oder hunderte Häuser besitzen. Gleichzeitig verändert sich das Haus, auch wenn die Mauern, die Treppen und die Fenster, mit denen es gemacht wurde, immer die gleichen bleiben. Seine Transformation hat mehr damit zu tun, was wir bereit sind, dort zu lassen”. 

Wenn wir von einem Haus sprechen, stoßen wir in Wirklichkeit, auch wenn wir sofort an die architektonische Machart denken, auf einen Begriff, der voller Bedeutungen ist, die alle mehr damit zu tun haben, was das Heim repräsentiert als mit dem, was es tatsächlich ist. Es ist kein Zufall, dass wir automatisch an unser Zuhause denken, wenn wir aufgefordert werden, uns ein Haus vorzustellen. “Ursprünglich war mein Haus die Dependance einer Villa– erklärt Chiara. Michelangelo hat die Räume völlig verändert. Er hat die Zimmer und die Bäder neu zugeschnitten. Während er damit beschäftigt war, die Räume zu definieren, widmete ich mich den Oberflächen und der Einrichtung. Es gefällt mir, die Phasen der Restaurierungsarbeiten zu verfolgen, und ich habe mich oft mit dem Planer auseinandergesetzt. Ich will kein septisches zu Hause, sondern es soll sehr persönlich sein. Es ist nicht einfach einem Raum, er muss vom ersten Tag an Wärme geben”. 

Um in ein paar Details zu gehen: die Ziegel an der Fassade haben sowohl eine dekorative als auch technische Funktion. Sie gehören zur Tradition des Ortes, der das Haus beherbergt, und zur gleichen Zeit schützen sie die Fassade. Die Fliesen des Pools, in wassergrünen Nuancen, harmonieren mit der Natur der Umgebung. Der Marmoraufgang zum Haus ist eine Besonderheit, die sich auch in der Weinkellerei Petra von Mario Botta findet. Betritt man das Haus, so schaffen die Wände der Küche, die mit bis zur Decke reichenden Marmorplatten verkleidet sind, ein einladendes Ambiente, auch dank der Schränke aus Bambusrohr, die die Atmosphäre aufwärmen und einen Kontrast zum glänzenden Marmor bilden. Die Funktionalität ist ein weiterer wichtiger Aspekt.

Am wichtigsten ist es, keine Eile zu haben. Ein Haus braucht Zeit, um es zu „füllen“ und es zu definieren, und dies ist immer noch ein sich ständig wandelnder Prozess”. 

Der Küchenschrank zum Beispiel lässt sich auf Rollen bewegen und wird zu einer zusätzlichen Arbeitsfläche. Für das Wohnzimmer habe ich das Sofa On The Rocks von Edra ausgewählt. Ich musste an etwas denken, dass den relativ kleinen Platz löste. Ich wollte ein funktionales Sofa, mit einer Sitzmöglichkeit auf 360 Grad, das einen auffängt und nicht nur ein ästhetisches Objekt blieb. On The Rocks ist perfekt und die Antwort auf all diese Bedürfnisse und Wünsche. Es gibt mir die Idee des heimischen Ofens, der für mich unbezahlbar ist. Im Gästezimmer steht eine Sherazade. Die Produkte von Edra sind ganz objektiv gesehen Meisterwerke. Mein erstes war das Standard, das ich vor ein paar Jahren gekauft habe. Dann habe ich den Sessel Favela. Eine tiefe Kenntnis des Unternehmens und die Entdeckung der Leidenschaft und der Werte, die in jedem einzelnen Objekt stecken, geben den Produkten, die alle großartig sind, ihren Mehrwert”. Diese wie andere moderne Stücke stehen oft neben hier und da, auch auf Flohmärkten, gefundenen Objekten. “Der Tisch könnte ein Entwurf von Gio Ponti sein,– erzählt Chiara - und dann sind da noch die Bilder, die ihre Geschichte haben. Es gibt Werke meiner Mama, die wichtigsten, kleinen, die man überall im Haus angelehnt findet. Ihre größeren Werke muss ich noch hierher bringen. Am wichtigsten ist es, keine Eile zu haben. Ein Haus braucht Zeit, um es zu „füllen“ und es zu definieren, und dies ist immer noch ein sich ständig wandelnder Prozess”. 


Laura Arrighi

Architektin, Forschungsdoktorat, Webwriter und Freelance Editor. Sie beschäftigt sich vorwiegend mit Interieur, Design und Mode, mit einem besonderen Interesse für das Phänomen der Hybriden der verschiedenen Bereiche. Sie widmet sich: dem Schreiben, der Recherche, Didaktik, und arbeitet mit verschiedenen Institutionen und einigen bedeutenden, italienischen Architekturstudios zusammen.

Bildergalerie

Share