Oktober 2023
Pierluigi Masini
Materie, Sinne, Gedanke.
Botticelli malte sein Werk Primavera um 1482. Das Gemälde sollte die bürgerfreundliche Regierung von Florenz zelebrieren und den neuplatonischen Gedanken von Marsilio Ficino und Pico della Mirandola darstellen. Auf diesem Gemälde stellt die schwangere Flora, die ein mit Blumen bedecktes Kleid trug, Florentia dar - eine Allegorie auf Florenz, die Stadt, in der die Künste blühen.
Vielleicht fragen Sie sich gerade: Warum wird hier über Botticelli gesprochen? Weil wir einem Warenverzeichnis von 1499 entnehmen konnten, dass das Werk über einer Kiefernholztruhe hing. Für das Gemälde waren hundert Lire, für die Truhe vierundachtzig Lire bezahlt worden, nur sechzehn weniger als für ein Meisterwerk von unschätzbarem Wert. Damals machte es keinen Unterschied, ob man eine Truhe aus Kiefernholz oder ein Gemälde von Botticelli kaufte: Botticelli war damals ein etablierter (und sicherlich unterbezahlter) Maler.
Ich habe mit der Suche nach diesen Fakten begonnen, um die Beziehung zwischen Kunst und Design zu untersuchen, und zwar in der spezifischen Bedeutung, die wir in Italien normalerweise dem Design geben, nicht auf die Welt des Designs im Ganzen bezogen, sondern auf den Einrichtungsbereich. Ich möchte die Unterschiede beleuchten, diese tiefe Furche, die sich seit der Epoche der Romantik gebildet hat. Aber zunächst halte ich es für sinnvoll, einige Überlegungen zum Begriff des Gebrauchs anzustellen, der Kunst und Einrichtung in der Tat voneinander trennt, und das Thema der Materialien als Unterscheidungsmerkmal der Einrichtungswelt einzuführen.
Das Wort Materialien kommt von Materie, es hat die gleiche physische, feste, konkrete, schwere Wurzel. Es handelt sich jedoch um einen spezifischeren, differenzierteren Begriff, wobei der Plural darauf hinweist, dass wir uns bereits in der Gegenwart vieler Varianten befinden, in einer Welt, die schon vor Linné erforscht und klassifiziert wurde. Wenn wir von Materialien sprechen, aktivieren wir instinktiv eine scharfe Trennung in unserem Gehirn, die uns dazu bringt, materielle Dinge von immateriellen Dingen, konkrete Dinge von abstrakten Dingen, menschliche, irdische Dinge von göttlichen, philosophischen, Dingen zu unterscheiden. Ein Dualismus, der die Sphäre der Sinne von der des Denkens trennt. Materielle Dinge sind praktisch und funktional, sie sind dazu da, benutzt zu werden. Die anderen werden mit dem Verstand erreicht. Im Falle der bildenden Künste gehen wir jedoch - wie der Name schon sagt - von einem der Sinne aus.
Die Funktion der Kunst ist ästhetisch, die Ästhetik der Einrichtung ist funktional. Ich denke, dass zu Zeiten von Lorenzo il Magnifico die Dinge noch nicht so klar waren und dass in seiner Vision als Literat, noch vor der des Herrn von Florenz, Kunst und Einrichtung, wie Literatur und Musik, zusammenwirkend eine Atmosphäre der angenehmen Zufriedenheit für den entwickelten Menschen schaffen können. Das heißt, diejenigen, die sich aus dem Zustand der reinen Materialität erheben und den Weg des Geistes einschlagen wollten. Ästhetische Kontemplation auf der einen Seite und alltägliche Funktion auf der anderen Seite entsprachen demselben Bedürfnis nach Harmonie und Schönheit. Sie waren Teil einer Gesamtheit, ohne eindeutige Wertbegriffe, d. h. ohne Eingliederung in die Hoch- oder Niederkultur, die manchmal auch als materielle Kultur bezeichnet wird.
Der Übergang von der Sphäre der Kunst zum Einrichtungsbereich hat eine deutliche Grenze, die insbesondere durch einen unserer Sinne zum Ausdruck kommt: den Tastsinn. Kunst berührt man nicht, man bewundert sie nur. Designobjekte werden angefasst und benutzt. Bei der ersten Annäherung nutzen wir das Sehen, um Form und Farbe zu erkennen; aber unmittelbar danach versuchen wir durch Berühren zu verstehen, wie das Möbelstück, das Sofa, die Lampe, der Tisch oder das Bett gefertigt wurde und welches Gefühl es uns vermittelt. Ettore Sottsass erklärte in einem Interview, dass das Berühren einer Laminatoberfläche ein derartiger sensorischer Nervenkitzel ist, dass beginnt, interessant zu werden. Er bezog sich auf das Laminat, ein unnatürliches, ebenes Element, ohne Kanten, ohne Materialität.
Angesichts der Webart eines Stoffes oder der Verarbeitung eines Möbelstücks kann sich das Schaudern nur vervielfachen. Schließlich gibt es neben den Berührungen auch Gegenstände, auf die wir uns setzen oder legen können, wobei wir die verschiedenen Formen des Wohlbefindens in uns aufnehmen und allmählich mit den Empfindungen in unserer Erinnerung vergleichen können. Im Falle von Sofas und Sesseln steht uns also ein sehr umfangreiches und ausgefeiltes Analyseinstrument zur Verfügung: unser Körper, der unsere Entscheidungen letztendlich beurteilt.
Rückblickend auf seine Geschichte hat sich Edra dafür entschieden, eine ästhetische Realität zu schaffen, die gleichzeitig mit dem Konzept der Schönheit und der Technologie verbunden ist, und die ständige Innovation der Materialien anzustreben, um maximalen Komfort zu gewährleisten. Diesen Entwicklungsprozess erzielt das Unternehmen durch geschickte Hybridisierungs- und Gleittechniken von Hightech-Materialien, die für seine Zwecke aus verschiedenen Bereichen übernommen und umgewandelt werden - wie im Fall von Gellyfoam®, ein Material aus dem medizinischen Bereich, das zu einem seiner exklusiven Patente geworden ist. Oder aber kommt Polycarbonat auf künstlerische und heraufbeschwörende Weise der Gefühle des Wohlbefindens zum Einsatz - wie in der jüngsten Kollektion A'mare von Jacopo Foggini, in der Stäbe in einem neuen transparenten Blau an die Frische von Meerwasser erinnern (und sofort gute Laune verbreiten).
Das Thema Textilien steht bei der Realisierung der Edra-Produkte im Fokus. Für Monica Mazzei ist dies die Welt, in die sie gerne eintaucht, um zu experimentieren und zu innovieren. Ihre solide Erfahrung, die sie im Laufe der Jahre erworben hat, führt zu einer sich ständig weiterentwickelnden Materialbibliothek des Unternehmens, die von Stoffen mit alten Traditionen - die einst auf einem Webstuhl gewebt wurden, wie Brokat, Samt, Chenille - bis zu hypertechnologischen Materialien wie Lurex reicht. Nicht zu vergessen die Welt des Leders mit seiner Einzigartigkeit, dem naturlichen Materialeffekt, den Falten und den verschiedenen Printausführungen. Die Handwerkskunst, in der die toskanische Tradition seit immer sich auszeichnet, wird bei Edra durch eine hoch entwickelte Laserbearbeitung ergänzt: alles mit Blick auf das stilistische Detail der Nähte, Steppnähte und den letzten manuellen Schliff. Das daraus hervorgehende Produkt ist die Summe der einzelnen Teile eines sorgfältigen Herstellungsprozesses; Ausgangspunkt ist stets die Betrachtung der Verkleidung als strukturelles Element und niemals als Zubehör, als integraler und unverzichtbarer Bestandteil des Designprojekts.
Der Forschungsansatz beginnt mit der Beobachtung des Gebrauchsverhaltens des Endnutzers und der daraus resultierenden Suche nach der am besten geeigneten Lösung, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Es gibt strukturierte Wirkgewebe, die wie bei On The Rocks für griffige Effekte verwendet werden. Andere, wie beim Grande Soffice, müssen den Abmessungen des Sofas entsprechend robust und widerstandsfähig sein. Die Suche nach den am besten geeigneten Materialien erfolgt auch durch Streifzüge in andere Bereiche: die am besten geeigneten Materialen werden intelligent importiert, ausgeliehen, überarbeitet und einem anderen Publikum übergeben. Eine umfassende Vision mit den für den künstlerischen Prozess typischen Überschneidungen, kombiniert mit besonderer Aufmerksamkeit auf die Farbpalette.
Aber das ist noch nicht alles. Für Edra muss die Wahl der Materialien das Versprechen erfüllen, Möbel zu realisieren, die der Zeit trotzen, um sie an diejenigen weiterzugeben, die nach uns kommen werden.
Kunst und Design, auf der höchsten Ebene ihrer symbolischen Darstellung gedacht, sind strukturelle Bestandteile der zeitgenössischen Erzählung. Sie sind grundlegende Bestandteile des großen globalen Themas der Kommunikation. Sie drücken die Macht des Zeichens aus, das die Realität beeinflusst
sie sind Träger einer Semiotik, die für die Faktoren und Werte unserer Zeit repräsentativ ist. Und nicht nur das: sie entsprechen den Bedürfnissen, die wir seit dem Aufkommen der Postmoderne gut kennen, indem sie allgemeingültige Codes anbieten.
Auch die Sprache der Objekte ist folglich koiné geworden. Die Gefahr, der sich die Welt des Designs ausgesetzt sieht, besteht darin, dass sie sich fast unbewusst von der realen Sphäre der Objekte zur nicht realen Sphäre der Zeichen bewegt und so zu einer übermäßigen Theatralisierung der Haushaltsaustattungen gelangt - wie Le Corbusier die Möbel ohne erkennbare Zuneigung nannte. Eine Art umgekehrtes Metaversum, das in der Realität und nicht in einer imaginären Welt aufgebaut ist.
Dieser Trend verrät den Geist des Designs, das - wie Andrea Branzi lehrt - mit dem Menschen als Antwort auf seine Bedürfnisse geboren wurde. Man bedenke nur, dass die meisten Gegenstände, die wir seit Menschengedenken benutzen, keine nachgewiesene Urheberschaft haben. Wissen wir, wer die Gabel erfunden hat? Den Kamm? Den Stuhl? Nein. Und die Liste ist endlos. Achille Castiglioni liebte es, anonyme Designobjekte zu sammeln, die er seinen Studenten mit Stolz zeigte und über die er mehr sprach als über seine eigenen.
enn die Funktionalität des Zeichens die seines Gebrauchs übersteigt, wenn man nicht mehr mit einer fast krampfhaften Aufmerksamkeit für das Produkt arbeitet, sondern in erster Linie für die kommunikativen Elemente, die es ausdrückt, ist die Warnung des Philosophen und Kunstkritikers Dino Formaggio, der vor fünfzig Jahren schrieb, dass „Kunst alles ist, was die Menschen Kunst nennen", sicherlich angebracht. Dabei warnte er vor der Gefahr, dass sich die Kunst durch den Verlust ihrer vollen ästhetischen Funktionalität auch vom Leben der Menschen und der Gesellschaft trennen würde. Paraphrasiert man diese Annahme, fragt man sich an dieser Stelle: Was ist dann all das, was man Design nennt?
Da Edra auf einer umgekehrten Erkennungsebene arbeitet, weiß Edra also, was Möbeldesign bedeutet. Und mit der Wahl des Fachgebiets scheint Edra eher jene Renaissance-Atmosphäre der totalen Harmonie zwischen Kunst und hoher Handwerkskunst wiederherstellen zu wollen, in die man gerne eintaucht, wenn man auf die lange Zeit der Geschichte zurückblickt.
Pierluigi Masini Journalist, Hochschulabschluss in Literaturwissenschaft in der Fachrichtung Kunstgeschichte, zwei Master in Marketing und Kommunikation. Unterrichtet Designgeschichte an der Raffles Mailand und Interior Design and Sustainability an der Yacademy. Hat ein Buch über Gabriella Crespi geschrieben. |