Icilio Federico Joni. Der Maler vor einem seiner Werke porträtiert.
Oktober 2023
Giampaolo Grassi
Geschichten von Schöpfern und Nachahmern
Francesco Binfaré sagt, dass seine Ideen generativ sind. Das heißt, bevor sie ihm einfallen, gibt es nichts Ähnliches oder auch nur annähernd Ähnliches. Ein Beispiel: Eines Nachts schnitt Binfaré aus einem Blatt Papier die Silhouette der Figur aus, die ihm gerade im Traum erschienen war. Es war das Flap. Eine Sekunde zuvor hatte es ein solches Sofa noch nicht gegeben, es war weder in einer Ausstellung noch in einer Werkstatt oder auf einem Dachboden zu finden. Genauso verhält es sich mit Standard, das aus der Intuition des intelligenten Kissens entstanden ist. Intelligent deshalb, weil es die Fähigkeit besitzt, zu überraschen, indem es die Position einnimmt, die sich derjenige beim Sitzen oder Liegen wünscht. Und das auf natürliche Weise, ohne einen Hauch Selbstgefälligkeit. Kurzum, intelligent, weil Intelligenz sich nicht zeigt. Aber generative Ideen bedeuten, dass sie weitere Ideen erzeugen. Vielleicht in anderen Menschen. Und hier wird die Argumentation noch viel komplizierter. Das Eine ist sich von den Meistern inspirieren zu lassen und die Bedeutung ihrer Botschaft weiterzugeben. Etwas ganz anderes ist es sich schön zu machen, indem man den anderen nachplappert.
Parallel dazu gibt es aber auch einen Streit über das Verhältnis zwischen Kunst und Design. Der Streit ist schon Jahrzehnte alt und wird weiß Gott wie lange noch dauern. In gewisser Annäherung lässt er sich wie folgt zusammenfassen: Künstler entdecken neue Ausdrucksmöglichkeiten, Designer antizipieren die latenten Zeichen einer laufenden Entwicklung. Künstler führen an der Hand in imaginäre und unerforschte Gebiete, Designer zeichnen Karten von Wegen, die bereits möglich sind.
Binfaré hat immer in der Welt des Designs gearbeitet. Aber er ist ein Künstler. Das ist eine Tatsache, die keiner Erklärung bedarf. So ist er nun einmal. Punkt. Wem Fakten nicht genügen, der findet Beweise in den Akten eines laufenden Gerichtsverfahrens in Venedig. Für den Richter muss das Sofa Standard auch urheberrechtlich geschützt sein, und zwar in dem Teil, der sich mit industriellem Design befasst, das nicht nur einen „künstlerischen Wert“ sondern auch einen „schöpferischen Charakter“ besitzt. Wenn sich die Richter mit Binfaré und seiner Kunst befassen mussten, dann deshalb, weil sich im Laufe der Jahre große und kleine Unternehmen zu leichtfertig von seinen Ideen inspirieren ließen. Die beliebtesten Werke unter Binfarés unangebrachten Anhängern sind die Sofas Standard und On The Rocks sowie das intelligente Kissen.
Es gibt zwar Autoren, die sich geschmeichelt fühlen, wenn sie nachgeahmt werden. Aber manchmal hat die Hommage einen Beigeschmack von Betrug und die Grenze zwischen Anspielung und Spott verschwindet. Edra hat sich schon immer damit auseinander setzen müssen. Sofas, die denen von Binfaré ähneln, Sessel, die an Masanori Umeda erinnern, Möbel, die wie diejenigen der Gebrüder Campana ausschauen, Sitze, die denen von Jacopo Foggini gleichen... Es gibt auch raffinierte Exemplare: Sie mischen und kombinieren Stile, Materialien, Lösungen und Fantasien, die zur fast 40-jährigen Tradition von Edra gehören. Leider ist das eine Geschichte, die so alt ist wie die Welt. In Siena gab es einen sehr guten Maler, sein Name war Federico Joni.
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts malte er Gemälde aus dem 14. und 15. Jahrhundert. Ja, es handelt sich um Werke, die mehrere Jahrhunderte früher entstanden sind und von Anfang an bewusst alt erschienen, ohne dass die Käufer es ahnten. Und es gelang ihm, sie an Händler und große Sammler zu verkaufen. Bis eines Tages ein Kunsthistoriker, der ein ahnungsloser Besitzer von Jonis Gemälden war, den Betrug aufdeckte. Joni gestand es offen und fügte eine spöttische Bemerkung hinzu:
„Meine Bilder kann man leicht erkennen“, verriet er, „denn sie haben eine Signatur: Paicap“. Auf jedem seiner Gemälde tauchen versteckt vor den Blicken diese Initialen auf, die aus den Anfangsbuchstaben eines Satzes bestanden. Aus Gründen des Anstands, um den gesunden Menschenverstand nicht zu verletzen und auch um die Sittenpolizei nicht zu alarmieren, ist es nicht möglich, ihn wörtlich wiederzugeben (eine schnelle Suche im Internet wird die Neugierigsten befriedigen, hier genügt es, zu ahnen, dass das inkriminierte Wort auf Italienisch mit „c“ beginnt). Aber es ist nicht schwer, seine Bedeutung zu erkennen: „Andere verhöhnen, indem man sie täuscht“. Das mag zum Schmunzeln anregen und Sympathie erwecken, aber das geht einfach zu weit. Damals wie heute.
P.S.: 1909 organisierte Joni in Florenz eine Ausstellung mit seinen Originalgemälden, nicht mit Kopien. Es war ein Flop.
Giampaolo Grassi Parlamentarischer Reporter der italienischen Presseagentur ANSA. Bevor er sich für die Politik interessierte, war er für die Rechtsnachrichten in Florenz und in den Fungurnachrichten in Mailand verantwortlich. |