Januar 2024
Giampaolo Grassi
Die Intuition von Binfaré: Poesie, Technik, Eros
E s gibt Themen, bei denen man Francesco Binfaré begleiten muss. Ansonsten denkt er lieber über anderes nach. Wenn er aber gefragt wird, antwortet er auch. Er nimmt die Einladung an: “Der Eros ist eine grundlegende Komponente der Sofas”. Die Botschaft ist klar. Unmittelbar. Direkt. Aber die Worte und Werke von Binfaré haben in ihrem Inneren Schubladen, verborgene Winkel, Schlupflöcher. Nichts, was man verstecken möchte. Wenn dann nur einen Sinn, den nur jemand spürt, der sich auf die Gastfreundschaft versteht. Zum Beispiel: Binfaré sagt, dass seine Sofas sich sofort mit denjenigen verstehen, „die auf physischer Ebene einen gewissen Aspekt dieser Idee spüren.“ Weil sie überraschenderweise diejenigen treffen, die „bei der Beurteilung eine mehr instinktiv handeln”. Und dann verharrt er auf dem Wort, das einen den Schlupfwinkel verlassen lässt: Eros. Binfaré benutzt es, weist aber sofort jeden Verdacht eines billigen Anmachversuchs zurück. “Der Begriff ist semantisch gesehen richtig. Aber in rein populärwissenschaftlicher Hinsicht, kann er einen wirklich vom Weg abbringen, weil er riskiert, mit nichts anderem als der Sexualität in Verbindung gebracht zu werden. Eros muss dagegen als eine Bestätigung des Lebens, als Generator einer Energie, einer Vibration verstanden werden”.
Ein Sofa ist zum Wohnen gedacht, es hat keine betrieblichen Funktionen im Zusammenhang mit der Arbeit. Nicht einmal in Ruhe. Es begrüßt die Vielfalt der Momente, die mit dem Leben zu tun haben. Hier ist Eros.
Das Metier von Binfaré ist ein Ablenken mit Zitaten, Andeutungen, Vorschlägen, Einflüsterungen. “Die Form meiner Sofas besitzt diese Komponente. Eine gewisse Erotik, die aber eine bestimmte Art lebendiger Schönheit meint. Wenn ich etwas entwerfe, suche ich nichts hiervon. Ich denke nicht daran. Aber jedes Mal, wenn ich eines meiner Werke betrachte, finde ich sie in ihnen. Es ist ein ihnen innewohnender Zug. Es gibt Autoren, die es besitzen, andere besitzen es nicht.” Nichts Barockes, keine Federn und Spitzen. “Das Sofa ist da, um gelebt zu werden – erklärt er – es hat keinerlei operative Funktion, die mit dem Ambiente der Arbeit zu tun hat. Nicht einmal um auszuruhen. Es nimmt nur die vielfältigen Bewegungen auf, die mit dem Leben zu tun haben. Das ist der Eros. Aber Achtung: diese Eigenschaft darf nicht sofort erkennbar sein. Je mehr sie da ist, desto weniger funktioniert es, desto weniger existiert es. Weil man dann in die Pornographie des Produkts abgleitet. Es muss jedoch ein raffiniertes Spiel der Verschleierung sein.“ Auf der Suche nach Bestätigungen, kann man die Seiten des Katalogs von Edra, als glaubwürdigen Zeugen der Botschaften, die in den von Binfaré unterzeichneten Sofas eingeschlossen sind, befragen. Das Werk, das mehr als alle anderen diesen ihnen „innewohnenden Zug“ repräsentiert, ist das Flap. “Es hat eine essentielle Form, besitzt keinerlei Schnörkel. Es kommuniziert unmittelbar diese vitale Antwort”. Standard dagegen ist keuscher. “Die Komponente Eros ist da und sie ist stark. Aber sie weiss sich geschickt unter die anderen Werte zu mischen. Standard gehört zu einem gemeinsamen Wohnmodell, mit weichen Modulationsvarianten, und ist scheinbar keine absolute Neuheit”. Es versteht sich von selbst, dass das ‘L’Homme et la Femme’ schon für sich eine erotische Geste ist. “Es war das erste Modell, das ich Edra angeboten hatte. Es ist die Idee eines Sofas für Paare.
Die Lebensenergie entsteht nicht aus dem, was Sofas tun, sondern aus dem, was sie sind. Und ich denke, dass die Fähigkeit, das alles zu lesen, zum Bereich des Instinkts gehört.
Die klassische, kanonische, jahrhundertealte Typologie der Sitzmöbel sah einen Sessel für ihn und das Sofa für sie vor. Ich aber wollte eine Fusion der beiden Personen und ihrer gegenseitigen Bewegungen. Die Module mussten sich unterschiedlich paaren, wie zwei Geliebte, aber auch wie zwei Individuen sein, die miteinander kommunizieren. Es musste eine Performance sein, die aus dem Gesichtspunkt der Theatralik und nicht kommerziell konzipiert war. Es ist nicht nur eine physische Repräsentation, sondern auch eine mentale, eine Geisteshaltung. Eine dieser chemischen und dynamischen, die sich bei Paaren, und zwar bei allen, entwickelt. Die Stärke des Sofas ist die Fähigkeit, eine Stimmung oder eine Situation wiedergeben zu können. ‘L’Homme et la Femme’ ist ein Theater, eine wandernde Installation, das eine vitale Vibration freisetzt.” Wenn alle Schubladen geöffnet wurden, erscheinen die Behauptungen von Binfaré in ihrer essentiellen Position. Die immer dieselbe geblieben ist. Sie hat sich nie geändert. “Die vitale Energie zeigt sich nicht darin, was die Sofas machen, sondern darin, was sie sind. Da gibt es einen komplizierten Weg der Kommunikation. Eine Weichheit. Eine Harmonie, die es dem Eros ermöglicht, erkannt zu werden. Und ich denke, dass die Fähigkeit, all dies aus dem Sofa heraus zu lesen, dem Bereich des Instinkts angehört.”
Giampaolo Grassi Parlamentarischer Reporter der italienischen Presseagentur ANSA. Bevor er sich für die Politik interessierte, war er für die Rechtsnachrichten in Florenz und in den Fungurnachrichten in Mailand verantwortlich. |