Die von Francesco Binfaré im Rahmen der Ausstellung geschaffene Installation mit „Angelo“, „Colombo“ und „Survivors“ mit dem Teppich „Mare“ aus der Privatsammlung Edra.
September 2024
L’attimo prima (Der Augenblick davor)
Die Ausstellung von Francesco Binfaré, wurde von Silvana Annicchiarico, im ADI Design Museum kuratiert
Es gibt dieses faszinierende und gewaltige Wort: Design. Damit muss man sich auseinandersetzen. Verstehen, wovon wir sprechen, wenn wir darüber reden. In Mailand befindet sich der Sitz des ADI-Vereins, dem Haus des Designs: Vom 15. April bis zum 5. Mai fand dort die Ausstellung von Francesco Binfaré, L'attimo prima (Der Augenblick davor) statt. Eine Kunstausstellung, mit dem Ziel, ein Erlebnis zu teilen. Und vielleicht auch mit einem didaktischen Ziel: den Weg zu zeigen, den eine Idee einschlägt, um allmählich zu einem Objekt zu werden. „Die Ausstellung“, erklärt Binfaré, „war ein Einblick in meinen Weg des Schaffens. Und ein Einblick in das Leben. Alles wurde klar kommuniziert. Aber das Ziel war nicht, es so deutlich zu machen wie in einem Dokumentarfilm. Ich denke, dass die Ausstellung Musikstücke und Emotionen hinterlassen aber auch die Möglichkeit geboten hat, die Welt des Schaffens zu verstehen und erleuchtende Einblicke mitzunehmen. Ich glaube, es ist uns gelungen, etwas zu vermitteln, das man meine Fantasien nennt“. Die Ausstellung wurde von Silvana Annicchiarico kuratiert: „Francesco Binfaré ist ein Reisender“, sagt sie, „andere Designer sind eher Sammler von Visionen.
Er hingegen ist ein Entdecker. Ein Pionier. Binfaré betrachtet jedes Design-Abenteuer als eine Reise, ein Streben nach, ein Eintauchen in eine andere Dimension“. Didaktik, sagten wir. Es gibt die Geschichte vom Flap, von dem er eines Nachts träumt, er sei ein schwarzer Regen, der nur einen roten Fleck verschont. Die Form dieses Flecks ist die des Flap. Die Kunst besteht dann darin, die Form in ein Sofa zu verwandeln, das aus einer Polsterung, einer Struktur und allem Drum und Dran besteht. „Diese Ausstellung“, erklärte ADIs Präsident Luciano Galimberti, „bietet uns einzigartige Einblicke, wie die Welt und die Herangehensweise von Francesco Binfaré uns allen helfen kann, über Design und Leben nachzudenken, und das ohne ideologische Bezüge“. Hier bräuchten wir einen Überblick. Es gab die von Edra hergestellten Sofas: On the Rocks, Pack, Standard, Flap… „Francesco hat uns Modelle vorgeschlagen, die in erster Linie Geschichten sind“, sagt Monica Mazzei, Vizepräsidentin von Edra, „das erste war L‘Homme et la Femme. Diese Ausstellung ist geprägt mit der Seele, den Gedanken und Ideen von Francesco. Mit seiner Poetik“. Die Sofas waren ausgestellt, als wollten sie sagen: Das könnte der Landeplatz sein. Aber nicht nur das. Es gab die Geschichten von Binfaré, wie L’Isola (Die Insel): Skizzen und Zeichnungen, die wie Fortsetzungsgeschichten aneinandergereiht aufgehängt waren. „Sequenzen, die eine Art embryonales Drehbuch skizzieren“, hieß es in der Präsentation, „Vorboten möglicher zukünftiger Projekte“. Und dann ein Gemälde auf einem großen Laken, eines von denen, die Binfaré 1996 dank Pierre Restany in die Ausstellung brachte: „Ich habe es La mia mano destra (Meine rechte Hand) genannt, aus der Serie Tracce emozionali domestiche (Häusliche Gefühlsspuren). Es ist ein Knotenpunkt. Zu dieser Zeit beendete ich meine Tätigkeit als Direktor für Kunst und Forschung in verschiedenen Unternehmen und trat in eine freiere Dimension ein“. Entlang eines Korridors stand die Vitrine I miei tormenti (Meine Qualen). Dort lag auch ein Notizbuch mit einer Liste von Projekten, die Binfarés Handschrift trugen, von Maralunga bis Up, von Kar-a-sutra bis Aeo... Zeilen in kleinen Buchstaben, voller Namen, die man hätte umblättern müssen, um die Fortsetzung zu sehen.
„Die Ausstellung L'attimo prima, heißt es in der Präsentation, „zeigt nicht nur Binfarés Arbeitsweise, sondern auch, wie sich seine Bilder im Laufe der Jahre geformt und geschichtet haben. Binfarés Arbeitsweise ist das Ergebnis einer unermüdlichen Forschungstätigkeit, die in den 1960er Jahren begann und durch die Beziehung und den Vergleich mit anderen Meistern wie Gaetano Pesce, Carlo Scarpa, Vico Magistretti und Mario Bellini gedeihen konnte“. Und dann war da noch der Angelo (Engel) aus Terrakotta, „Schutzgott und Leitgeist der Ausstellung“, wie der Kurator Annichiarico ihn definierte. „Der Engel gibt keine Antworten, er stellt Fragen“, erklärte Binfaré, „aber er war das Herzstück der Ausstellung“. Die Ausstellung wurde mit einem Videointerview von Giovanni Gastel mit Binfaré eröffnet und schloss mit einem zweiten Video des Regisseurs Giuseppe Carrieri, das verwirrend erschien, es aber nicht war. Binfaré ist in ein weißes Baumwollkleid gekleidet und bewegt sich zu den Noten von Vivaldis Inverno. Er führt den Tanz des Samens auf, eine Übung des Biodanza-Systems, die an den Prozess der Schöpfung als Erzeugung von Früchten erinnert. Die Poetik der menschlichen Begegnung basiert auf der Erfahrung, hier und jetzt wirklich lebendig zu sein: der Augenblick (davor). Und wo ist das Design geblieben? Es war auch da. Es beobachtete alles, versteckt, wo niemand es sehen konnte. Um sich zu nähren. Um sich inspirieren zu lassen.
Giampaolo Grassi Parlamentarischer Reporter der italienischen Presseagentur ANSA. Bevor er sich für die Politik interessierte, war er für die Rechtsnachrichten in Florenz und in den Fungurnachrichten in Mailand verantwortlich. |